Nicht in allen Fällen trifft bei einem Auffahrunfall den Hintenfahrenden die Hauptschuld. Bei einem atypischen Unfall, beispielsweise bei einer ölverschmierten Fahrbahn, können beide Unfallbeteiligte zu gleichen Teilen haften.
Zwei Autos kommen auf einer ölverschmutzten Fahrbahn ins Schleudern. Das hintere Fahrzeug fährt auf das vordere auf. Das Landgericht sah die auffahrende Klägerin voll in der Haftung. Begründung: Sie habe gegen § 4 Abs. 1 StVO verstoßen, der besagt: „Der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug muss in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird“.
Bei einem Auffahrunfall hat der Auffahrende in der Regel schlechte Karten und haftet häufig allein für den entstandenen Schaden. Denn nach dem sog. Anscheinsbeweis kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Auffahrende
- den notwendigen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat oder
- nicht aufmerksam genug war.
Doch in dem vorliegenden Fall kommt das OLG Koblenz zu einer anderen Einschätzung. Der Anscheinsbeweis könne nicht zu Lasten der Klägerin angewendet werden.
Eine Fahrzeugkollision, der ein Schleudervorgang beider beteiligter Unfallfahrzeuge wegen einer ölverschmutzten Fahrbahn vorausgehe, könne unter keinem Gesichtspunkt als typischer Unfallverlauf im Sinne der Rechtsprechung angesehen werden.
Das Gericht wies darauf hin, dass das starke Abbremsen des vorausfahrenden Fahrzeugs allein noch nicht einen atypischen Unfallverlauf begründe. Denn mit einem starken Bremsen des vorausfahrenden Fahrzeugs müsse der Hinterherfahrende stets rechnen.
Da eine weitere Aufklärung des Unfallgeschehens nicht möglich sei – beispielsweise wurde die Länge der Bremsspuren von der Polizei nicht ermittelt – sei von einem ungeklärten Unfallgeschehen auszugehen.
Es stehe deshalb weder fest, ob die Klägerin den gebotenen Sicherheitsabstand eingehalten bzw. zu spät reagiert habe. Auch sei nicht klar, ob der Beklagte ohne zwingenden Grund zu stark abgebremst habe.
Konsequenz: Es kommt zu einer hälftigen Schadensteilung. Die Klägerin, der ein Sachschaden in Höhe von 10.846 Euro entstanden ist, erhält 5.423 Euro ersetzt.
(OLG Koblenz, Urteil v. 16.03.2015, 12 U 1010/14)
Haufe Online Redaktion